Afghanistan

"Man muss damit rechnen, dass auch mal was passiert"

Die deutsche Fotografin Anja Niedringhaus
Die deutsche Fotografin Anja Niedringhaus © dpa / picture-alliance / Ulrich Perrey
Moderation: Ulrike Timm · 04.04.2014
Kriegsfotografie ist eine Männerdomäne. Die Pulitzerpreisträgerin Anja Niedringhaus gehörte zu den ganz wenigen Frauen, die mit ihrer Kamera aus Krisengebieten berichten. Am Freitag wurde sie in Afghanistan von einer Kugel tödlich getroffen.
Britta Bürger: Vor den morgigen Präsidentenwahlen in Afghanistan ist die Sicherheitslage im Land extrem angespannt. Heute Vormittag erreichte uns die erschütternde Nachricht, dass die Kriegsfotografin Anja Niedringhaus nach offiziellen afghanischen Angaben am Morgen im Norden des Landes von einem Polizisten erschossen worden ist. Außerdem ist die kanadische Journalistin Kathy Gannon bei dem Vorfall schwer verletzt worden. Beide arbeiteten für die US-Nachrichtenagentur Associated Press. Sie sollen zunächst mit einem Wahlkonvoi unterwegs gewesen sein und dann mit einem einheimischen Fahrer eigenständig weiter nach Tanai an der pakistanischen Grenze gefahren sein. Von dort wollten sie über die Wahl berichten.
Der Schütze sei Kommandeur eines Checkpoints vor dem Büro des Distriktgourverneurs gewesen. Er sei festgenommen worden und werde verhört. Inzwischen hat sich auch die Bundesregierung in den Fall eingeschaltet. Die deutsche Botschft in Kabul sei mit Nachdruck um Aufklärung bemüht, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Berlin.
Die Pulitzerpreisträgerin Anja Niedringhaus war eine der ganz wenigen Frauen, die in der Männerdomäne Kriegsfotografie tätig war. 2011 hat ihr die CO-Galerie in Berlin eine große Ausstellung ermöglicht, und damals war sie auch bei uns im Radiofeuilleton zu Gast. Ulrike Timm fragte Anja Niedringhaus, welches Anliegen sie hat, wenn sie in Kriegs- und Krisengebieten arbeitet.
Ein Afghane auf einem Esel folgt einem deutschen ISAF-Fahrzeug.
Ein Afghane auf einem Esel folgt einem deutschen ISAF-Fahrzeug.© picture alliance / dpa / Anja Niedringhaus
Niedringhaus: Mein Anliegen ist eigentlich, die Menschen in diesen Ländern zu zeigen. Es geht mir nicht um die Militärmaschinerie, oder wie groß die Waffen sind, wie schnell der Panzer ist, sondern was eigentlich danach passiert, nachdem geschossen wird. Und deswegen ist es meistens so, dass an der Frontlinie für mich der uninteressanteste Punkt ist. Der interessanteste Punkt ist, was ist eigentlich da, wo es einschlägt?

Timm: Und dann sind Sie ganz vorne, und die Kugeln, die auf manchen Bildern einschlagen, die haben Sie auch gehört, und die Schuss– …

Niedringhaus: Die habe ich auch selbst am eigenen – also ich bin ja auch verletzt worden letztes Jahr im September, am 11. September. Das passiert, wenn man jahrelang also sich in diesen Gebieten bewegt, muss man damit rechnen, dass auch mal was passiert. Und ich habe immer bisher sehr viel Glück gehabt und hoffe auch, dass ich das weiterhin habe, aber …
"So eine kleine Schutzschicht"
Timm: Gehört Angst zur Professionalität?

Niedringhaus: Ich finde, Angst ist sehr wichtig. Eine gewisse Angst, eine Angst, die ich einschätzen kann. Ich möchte ja nicht ein Rambo sein und sagen: Ich kenne keine Angst. Natürlich habe ich Angst. Vielleicht weniger als derjenige, diejenige, die die Situation nicht kennt. Ich habe mich ja über die letzten 20 Jahre sehr gut kennengelernt. Also, ich weiß, wie ich in gefährlichen Situationen reagiere. Ich werde nicht hysterisch, ich werde eher sehr, sehr ruhig. Und ich finde, Angst, eine gewisse Grund-Angst, ist lebenserhaltend.

Timm: Wie viel wissen Sie eigentlich von den Menschen, bevor sie auf den Auslöser drücken?

Niedringhaus: Wenig. Ich glaube, die Gabe eines guten Fotografen oder einer guten Fotografin ist, schnell auch zu reagieren und Zusammenhänge ganz schnell zu erfassen. Es ist ja nichts vorausplanbar. Ich kann Ihnen manchmal gar nicht sagen, was ich in der nächsten Stunde mache – das ist ja auch das Interessante –, sondern ich taste mich weiter ran an die Geschichte, weiter ran, und lasse es auf mich zukommen und berichte eigentlich darüber, was ich sehe. Was ich sehr, sehr schade finde, dass man, selbst wenn man die Menschen nur kurze Zeit gesehen hat, die man fotografiert hat, sei es nur Minuten oder Sekunden, dass man schon irgendwo eine Beziehung aufgebaut hat. Also, ich versuche das – traurig ist, dass man die wahrscheinlich nie wieder sieht.


Timm: Frau Niedringhaus, die Kamera soll ja ganz nah sein, sorgt aber gleichzeitig für Distanz. Sie steht ja zwischen Ihnen und den Menschen. Wie geht das, einen Konflikt zu dokumentieren, ohne sich reinziehen zu lassen?

Niedringhaus: Ja, dass man nicht aufgefressen wird, das ist das, worüber ich immer dankbar bin, oder meiner Kamera sehr dankbar bin. Ich glaube, wenn ich ein schreibender Journalist wäre und würde diese ganzen Dinge sehen, hätte ich ein größeres Problem. Durch die Kamera konzentriere ich mich auf Bildaufbau und bin so eins mit der Kamera und habe so ein bisschen dann zwischen mir und dem was passiert, so eine kleine Schutzschicht.

Timm: Heißt das, in dem Moment, wo vor Ihnen jemand stirbt, fragen Sie sich, wie sieht das aus?

Niedringhaus: Nein. Nein, das lasse ich auf mich zukommen. Nein, nein. Nein, das wäre ja eine Inszenierung. Oh Gott, das wäre ja schrecklich.
Afghanistan 2009: ein Junge vor deutschen ISAF-Einheiten
Afghanistan 2009: ein Junge vor deutschen ISAF-Einheiten© picture alliance / dpa / Anja Niedringhaus
Palästina 2006: Junge Frauen genießen eine Achterbahnfahrt in einem Vergnügungspark in Gaza City.
Palästina 2006: Junge Frauen genießen eine Achterbahnfahrt in einem Vergnügungspark in Gaza City.© picture alliance / dpa / Anja Niedringhaus
"Hoffen, dass die Arbeit was bewegt"
Timm: Das ist ja in gewisser Weise auch ein Dilemma, wenn Sie in einem Kriegsgebiet inmitten eines Kugelhagels stehen sollten und eindrucksvolle Bilder schießen – so nennt man das ja schrecklicherweise –, dann ist das ein eindringliches Bild aus allernächster Nähe, und ist wahr. Ein objektives Bild der Lage ist und kann es nicht sein, denn die kann ja ein paar Kilometer weiter schon ganz anders sein, und trotzdem beurteilt man politische Zusammenhänge nach solchen Bildern. Ist das manchmal auch ein Dilemma, gefährlich?

Niedringhaus: Das ist manchmal ein Dilemma, weil es kann zu falschen Aussagen führen. Denn die Frontlinie zum Beispiel in Libyen hat sich innerhalb von Minuten verändert. Wenn ich gerade an einer Stelle bin und darüber berichte und auch – wir haben ja auch einen irren Druck zum Teil als Agenturfotografen, dass ich nicht sage, ich fotografiere den ganzen Tag und dann setze ich mich abends in mein Hotelzimmer und dann gucke ich mal, was ich gemacht habe. Sondern, wie das nun ist, in Libyen ganz stark – und ich finde, das ist auch eine Riesengefahr –, dass wir diesen Druck haben, aktuell zu sein. Das heißt, ich fotografiere und baue mein Satellitentelefon auf und schicke was und gehe mit der Frontlinie mit. Das gab es früher nicht in Sarajevo. Da haben wir gesagt, bis um drei oder vier sind wir draußen – war auch Absprache mit Kollegen, weil es wurde ja immer gefährlicher oder grade in der Dunkelheit mit den Scharfschützen –, und heute ist es so, wir wollen alles instant haben, wir wollen alles schnell haben, und man muss sehen, dass man sich in der ganzen Sache nicht verhaspelt.
Hunderte von Afghanen versammeln sich an der Kart-e Sakhi Moschee in Kabul.
Hunderte von Afghanen versammeln sich an der Kart-e Sakhi Moschee in Kabul© picture alliance / dpa / Anja Niedringhaus

Timm: Wie stehen Sie dazu, dass Fotografen draufhalten und Bilder schießen?

Niedringhaus: Ganz schlimm. Draufhalten heißt von den Menschen was wegnehmen.

Timm: Wie werden Sie damit fertig, zum Beispiel in einem Krankenhaus Schwerverletzte zu fotografieren, wenn sehr offensichtlich ist, dieses Krankenhaus hat keine Medikamente, kaum Verbandsmaterial und Sie stehen da mit Ihrer Kamera, und tun können Sie eigentlich nichts?

Niedringhaus: Ich kann schon was tun, indem ich darüber berichte. Und ich glaube, das ist die Aufgabe. Ich kann jetzt nicht direkt die Medikamente aus meiner Tasche ziehen, aus der Fototasche, und dahin legen, sondern ich habe die Aufgabe, darüber zu berichten und dann zu hoffen, dass sich was ändert. Es sind in manchen Fällen, damals auch in Sarajevo sind Konvois gestartet, die kleinere Gruppen organisiert haben aufgrund von Fotos. Ich kann nur immer wieder hoffen, dass die Arbeit, die ich mache – das ist auch das, was mir die Energie gibt –, was bewegt.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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