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Meinung Evangelische Kirche

Die EKD bleibt bei der Theologie und das ist gut so

Im Anfang war Luther: Das Denkmal des deutschen Reformators auf dem Marktplatz zu Wittenberg Im Anfang war Luther: Das Denkmal des deutschen Reformators auf dem Marktplatz zu Wittenberg
Im Anfang war Luther: Das Denkmal des deutschen Reformators auf dem Marktplatz zu Wittenberg
Quelle: picture-alliance/ZB
Das Papier der Kirche zum Jubiläum der Reformation ist zu Unrecht auf Kritik gestoßen. In Wahrheit unternimmt der Text den Versuch, eine Sprache zu finden, die möglichst alle Menschen erreicht.

Jahrzehntelang wurde der EKD vorgeworfen, in ihren Stellungnahmen zu wenig theologisch gewesen zu sein, zu stark allgemeinpolitisch oder sozialpolitisch argumentiert zu haben. Nun hat die EKD einen über hundertseitigen Grundlagentext unter dem Titel „Rechtfertigung und Freiheit“ vorgelegt, der vor allem theologisch über die bis heute gültigen Pointen der Reformation orientieren soll. Aber das ist jetzt zwei hoch geachteten Reformationshistorikern zu theologisch. „Luther-Ideologie“ ist der geharnischte Protest der beiden Kollegen betitelt („Welt“ vom 24. Mai). Ist es wirklich Ideologie, wenn die Kirche bei ihrer Sache, der Theologie, bleibt?

Die Kollegen konstatieren, dass das EKD-Papier „die Erkenntnisse der nach 1945 erneuerten, internationalen Reformationsforschung als Teil der allgemeinen Geschichtsforschung überhaupt nicht zur Kenntnis genommen“ habe. Eine besondere Pointe dieser Reformationsforschung ist für Thomas Kaufmann und Heinz Schilling, dass an die Stelle eines monolithischen, von ihnen als „dogmatisch“ apostrophierten Konstrukts von Reformation ein buntes Bild differenter Interessen unterschiedlicher Personen in einer bewegten Zeit tritt.

Unter den Bedingungen der Postmoderne ist in den Geschichtswissenschaften die, den Vätern noch selbstverständliche Einheit des Phänomens, „Reformation“ zerbrochen. Von den einstigen großen Erzählungen bleiben Detailanalysen übrig. Da ärgert es natürlich, wenn in der evangelischen Kirche daran festgehalten wird, dass aus den vielen bunten Bildern ein einziger theologischer Zentralpunkt ausgewählt wird, die Rechtfertigungslehre.

Die Kirche und die vielen Christentümer

Zwar lässt sich, da haben Kaufmann und Schilling recht, nicht von „Calvin, gar Zwingli, auch Bucer, Müntzer, Karlstadt und all den anderen behaupten, die ‚Rechtfertigung‘ sei der Dreh- und Angelpunkt ihrer Theologie“. Freilich stammt von Bernd Moeller, dem von beiden Kollegen hochgeschätzten Lehrer Kaufmanns, der Satz, dass es eben die Rechtfertigungslehre war, „die die Massen in Bewegung brachte“. Die theologische Sachentscheidung, die Rechtfertigungslehre als zentrale Pointe reformatorischer Theologie auszuweisen, ist also keine Ideologie, sondern hat durchaus Anhalt an der historischen Entwicklung.

Kaufmann und Schilling wehren sich gegen eine Vermischung von theologischen Sachentscheidungen und historiografischen Analysen, eine solche Vermischung nennen sie ein „heilsgeschichtliches Programm“. Kirchen- und Theologiegeschichte ist für sie längst selbstverständlich in die Allgemeingeschichte integriert. Bei einer theologischen Geschichtsbetrachtung, die fragt, ob in der Geschichte der Menschen das Heil Gottes neu aufgeschlossen wurde, beobachten sie ein „für Ideologien charakteristisches Eigentlichkeitspathos“.

Aber ist mit einer Integration der Geschichte von Kirchen und Christentümern in die allgemeine Geschichte schon wirklich alles über das Recht einer solchen Form von Geschichtsphilosophie gesagt? Haben etwa nur die Kirchenhistoriker, die so denken, besondere, unter Ideologieverdacht stehende Axiome? Hat ein Allgemeinhistoriker wie Schilling etwa keine aus der Geschichtswissenschaft nicht ableitbaren Axiome, beispielsweise über Zeit und Handeln, die sich – jedenfalls wissenschaftstheoretisch betrachtet – kategorial von der Hypothese, dass ein Gott existiert, nicht unterscheiden? Ist eine theologische Betrachtung von Kirchengeschichte nur Ideologie, ist Geschichtswissenschaft ein streng ideologiefreier Bereich?

Eilig gezimmerte Reformation

Die theologische Orientierung des Papiers der EKD wird von Kaufmann und Schilling als „eine dezidiert antiliberale Absage an jede Legitimität einer ‚Umformung‘ des evangelischen Christentums, die seit dem 16. Jahrhundert eingetreten sein mag“, bezeichnet. In Wahrheit unternimmt das Papier der EKD Versuche, Sachanliegen reformatorischer Theologie in einer Sprache zu formulieren, die auch diejenigen Menschen erreicht, die mit diesen Sachanliegen ebenso wenig vertraut sind wie mit der Sprache, in der sie einst ausgedrückt werden. Ob man das als antiliberal, konventionell und langweilig empfindet, dürfte eher eine Geschmacksfrage sein.

Die beiden Kollegen polemisieren weiter dagegen, dass der Grundlagentext der EKD ganz „ähnlich wie in der ‚Luther-Renaissance‘ der 1920er-Jahre“ sich eine ‚religiöse‘ Reformation „zimmert“ – dabei wissen die beiden nur zu gut, wie sehr die nach 1945 angeblich so erneuerte Reformationsforschung teilweise bis heute diesem Paradigma folgt. Der Vorteil des Papieres der EKD ist, dass solche theologischen Vorentscheidungen nicht versteckt werden, sondern bereits im Vorwort offen adressiert werden. Diese Rechenschaft über die Vorentscheidungen wird anderswo ideologiefrei genannt.

Es gehört zu den Einsichten der Reformation, dass Kirche bei ihren Angelegenheiten bleiben soll und die säkularen Berufe auch. Insofern kann ich keinen Fehler darin sehen, dass die EKD bei der Theologie geblieben ist. Die – von den beiden Historikern eingeforderte und in der Tat höchst erwünschte – Broschüre, in der „die Erkenntnisse der nach 1945 erneuerten, internationalen Reformationsforschung als Teil der allgemeinen Geschichtsforschung“ zusammengefasst werden, kann nach dieser institutionellen Logik nicht die EKD vorlegen, sie sollte am besten von Kaufmann und Schilling selbst geschrieben werden.

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Allerdings sollte dann darauf geachtet werden, dass an postmodernes Pathos gemahnendes Votieren für die Unterschiedlichkeiten einzelner Theologen der Reformationszeit sich nicht seltsam stößt mit der eher an den klassischen Positivismus erinnernden Vorstellung, es gäbe einen einzigen definitiven Stand der Forschung.

Christoph Markschies ist Professor für Ältere Kirchengeschichte an der Berliner Humboldt-Universität. Er war Vorsitzender der „Ad-hoc-Kommission“, die unlängst im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland den Grundlagentext „Rechtfertigung und Freiheit. 500 Jahre Reformation 2017“ verfasste.

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