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Deutschland Evangelische Kirche

EKD-Ratschef sieht Grund zur Kritik an Gott

Politikredakteur
EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider
Am kommenden Dienstag wird Nikolaus Schneider sein Amt als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland auf der EKD-Synode in Dresden vorzeitig niederlegen, um sich sei...ner krebskranken Frau Anne widmen zu können
Quelle: pa/dpa
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Nikolaus Schneider, fordert eine Debatte über die Rolle der Gewalt im Islam. Von der Position der Islamverbände ist er enttäuscht. An Gott hat er Fragen.

Die Welt: Herr Schneider, seit Langem setzen Sie sich für die Verständigung von Juden und Christen ein. Was denken Sie angesichts der neuen Anfeindungen gegen Juden?

Nikolaus Schneider: Diese Anfeindungen bedrücken mich sehr. Zwar kann sich das Judentum hier darauf verlassen, dass im Kampf gegen den Antisemitismus unsere demokratischen Parteien im Bund und in den Ländern, die Kirchen und auch die islamischen Verbände fest an seiner Seite stehen. Aber der Antisemitismus wurde in Deutschland nie ganz überwunden. Nach wie vor benötigen jüdische Einrichtungen rund um die Uhr Schutz, werden Friedhöfe geschändet, stehen im Netz grässliche Parolen, arbeitet die rechtsradikale Szene mit dem Antisemitismus. Neu kommt hinzu, dass Konflikte im Nahen Osten auch in unserer Gesellschaft ausgetragen werden und radikalisierte junge Muslime hier lebende Juden angreifen. Zum Glück gibt es Gegenreaktionen.

Die Welt: Etwa die Kundgebung im September, als die Kanzlerin und auch Sie am Brandenburger Tor sprachen? In die Gesellschaft strahlte dies kaum aus.

Schneider: Da haben Sie wohl Recht. Viele scheinen zu denken, Juden und Muslime sollten uns nicht hier mit ihren Palästina-Problemen behelligen. Und radikalisierte Gruppierungen verbinden eine an sich legitime Kritik an der Politik der israelischen Regierung mit pauschalem Hass auf Juden.

Die Welt: Tun die Islamverbände genug gegen den Antisemitismus bei hier lebenden Muslimen?

Schneider: Erst einmal möchte ich den Einsatz der Islamverbände in unserem Land gegen Judenhass begrüßen. Wir brauchen ihre Mitarbeit, um energisch gegenzusteuern, wenn junge Männer durch Hassprediger aufgehetzt und für die IS-Milizen rekrutiert werden und man Geld für deren Schleusung in den Nahen Osten sammelt. Ich durchschaue aber die innerislamischen Mechanismen zu wenig, um abschätzen zu können, wie durchsetzungsfähig die Verbände dabei sein können.

Die Welt: Reicht es, wenn die Verbände sagen, sie hätten mit IS nichts zu tun, und der Islam sei eine friedliche Religion.

Schneider: Was von den Verbänden an Auseinandersetzung mit Ansatzpunkten für die Legitimierung von Gewalt im Koran und in der islamischen Tradition bisher kommt, ist mir zu wenig. Erst einmal gehe ich davon aus, dass sie sich vorbehaltlos für ein friedliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen einsetzen und nichts mit dem IS zu tun haben. Wir müssen aber nüchtern feststellen, dass sich der IS auf den Islam beruft. Darüber haben wir zu debattieren.

Die Welt: Auch über Unterschiede zu Christen?

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Schneider: Das Christentum hatte vor Kaiser Konstantin zunächst 300 Jahre der Verfolgung erlebt, ehe es in Machtpositionen kam, in denen Christen und ihre Kirchen selbst zu grausamen Verfolgern wurden. Im Islam hingegen hing seine rasche Verbreitung „mit Feuer und Schwert“ von Anfang an mit Kriegen zusammen. Das hat offensichtlich Ansatzpunkte im Koran – wie ja auch die Bibel für Begründungen von Gewaltanwendung nicht frei ist.

Darauf können heute jene zurückgreifen, die den Glauben für ihr Gewaltregime missbrauchen wollen. Dem etwas entgegenzusetzen, ist für Vertreter des friedlichen Islam heute schwieriger als für christliche Theologie. Das liegt zum einen an der Hermeneutik im Blick auf den Koran, aber in einigen Staaten auch an dem Einsatz von staatlicher Gewalt zur Durchsetzung religiöser Gesetze. Auf Letzteres wurde im Christentum – wenn auch sehr spät – verzichtet.

„Die Deutschen und der Islam“

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Quelle: N24

Die Welt: Wie können Protestanten die Vertreter eines friedlichen Islam unterstützen?

Schneider: Es wäre jedenfalls falsch, die Islamverbände für den IS haftbar zu machen. Wir müssen ihnen dankbar sein, dass sie sich davon klar distanzieren. Wir müssen aber fordern, dass, zumal an unseren Universitäten, bei der Ausbildung von Imamen und Religionslehrern die Rolle der Gewalt in der islamischen Tradition sowie die Unklarheiten im Verhältnis von Staat und Religion kritisch angesprochen werden.

Die Welt: Die evangelische Kirche befasst sich vor dem Reformationsjubiläum 2017 selbstkritisch mit ihrer eigenen Tradition des Judenhasses. Ein Modell für den Islam?

Schneider: Bei allen Gesprächen mit Vertretern des Islams mache ich darauf aufmerksam, dass auch die christlichen Kirchen eine sehr problematische Gewaltgeschichte haben und sich mit ihr auseinandersetzen. Wir sitzen nicht auf dem moralisch hohen Ross. Damit ermutige ich zur Auseinandersetzung über entsprechende Traditionen im Islam.

Die Welt: Empfinden eigentlich Ihre jüdischen Gesprächspartner die Auseinandersetzung der Kirche mit der Geschichte des protestantischen Judenhasses als hinreichend?

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Schneider: Als Erstes bin ich Jüdinnen und Juden von Herzen dankbar, dass sie trotz der Verbrechen des Holocaust zu einem Gespräch mit den Kirchen bereit sind. Nach meinem Eindruck ist es im Judentum sehr bewusst, welch epochaler Neubeginn mit dem jüdisch-christlichen Dialog für unsere christliche Theologie verbunden ist. Christliche Kirchen treten zum ersten Mal ohne Überlegenheitsanspruch auf, ohne den Gestus, wir könnten den Juden ihren Glauben erklären, damit sie das Wirken des Gottes Israels richtig verstehen.

Die Welt: So wie Luther die Juden belehren wollte, dass Jesus ihr Messias sei.

Schneider: Richtig. So dachte er als Kind seiner Zeit, weshalb man Luther nur versteht, wenn man ihn konsequent in seiner Epoche betrachtet, in der auch sein Gegner Johannes Eck und der Humanist Erasmus von Rotterdam von einer sich bis zum Hass steigernden Verachtung des Judentums erfüllt waren.

Nikolaus Schneider im Dom "Sankt Mauritius und Sankt Katharina" in Magdeburg
Nikolaus Schneider im Dom "Sankt Mauritius und Sankt Katharina" in Magdeburg
Quelle: picture alliance / dpa

Die Welt: Luthers Judenhass verfestigte sich während seiner Arbeit an der Übersetzung des Alten Testaments, das er im Widerspruch zur jüdischen Lehre als Vorausdeutung auf Jesus Christus interpretierte.

Schneider: Man muss prüfen, ob Luthers Deutung einiger alttestamentlichen Texte hier heute noch trägt. Diese Prüfung findet jetzt statt, da wir bis 2017 eine neue Durchsicht der Luther-Bibel erstellen. Und generell gilt: Es gibt keine Übersetzung, die nicht einen eigenen Deutungshorizont hätte. Dass Luther diesen hatte, schmälert nicht seine Sprachleistung und kann man ihm nicht vorwerfen.

Die Welt: Ein anderes Interesse hat da die Bibel in gerechter Sprache, die sich ja nicht darin erschöpft, Gott hin und wieder weibliche Attribute zu geben

Schneider: Völlig richtig. Dort gibt es neben einem pointiert feministischen Deutungshorizont das Interesse – und das wird offen gelegt –, mit Erkenntnissen aus dem jüdisch-christlichen Dialog die hebräische Bibel als jüdischen Text lesbar zu machen. Das gelingt dort sehr oft, weshalb ich es für unangebracht halte, der Bibel in gerechter Sprache ihre Interessen vorzuwerfen.

Die Welt: Ist der neue Blick auf Juden in der ganzen Kirche angekommen?

Schneider: Unbedingt in den Synoden, bei den leitenden Geistlichen und in den Grundordnungen. Da ist völlig klar, dass Gottes Bund mit seinem Volk Israel bleibend ist. Für mich ist deshalb der Begriff Mission bei der Bezeugung meines Glaubens Juden gegenüber unangemessen. Gemischt aber erscheint mir das Bild in der akademischen Theologie und auch der Pfarrerschaft. Bei Jüngeren ist offenbar der jüdisch-christliche Dialog nicht mehr so selbstverständlich wie noch in der Generation, die jetzt in Rente geht. Manche denken wohl, bei dem Thema wäre alles klar, man müsste das nicht weiter betreiben. Da ist es aber wie mit dem Rudern gegen die Strömung. Wenn man nicht mehr kräftig rudert, treibt das Boot zurück. Aber von den Verhältnissen vor Beginn des jüdisch-christlichen Dialogs sind wir meilenweit entfernt.

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Quelle: Reuters

Die Welt: Sie haben im Sommer mit Ihrer krebskranken Frau Interviews über Sterbehilfe gegeben und danach, auch wenn Sie die Suizidhilfe ablehnen, eine Diskussion über das Thema in der Kirche gefordert. Aber die Diskussion scheint nicht stattzufinden. Die Position der Kirche ist unverändert: für ein strafrechtliches Verbot organisierter Suizidbeihilfe.

Schneider: Falsch, diese Diskussion wird bei uns sehr intensiv geführt. Aber über das Thema zu diskutieren kann ja nicht heißen, unsere Grundhaltung aufzugeben, dass die organisierte Suizidbeihilfe Gefahren birgt. Wir diskutieren zudem beim Thema Sterbehilfe über weit mehr: Die palliativmedizinische Versorgung von Schwerkranken und die Pflege sterbender Menschen in Hospizen müssen ausgebaut werden. Übertherapierungen am Lebensende sind zu verhindern, damit das Leiden von Menschen nicht unnötig verlängert wird. Auch „Sterben lassen“ gehört zur medizinischen Kunst.

Die Welt: Wie geht es Ihrer Frau heute?

Schneider: Meine Frau ist noch in der ersten Phase der Therapie, das ist eine Chemotherapie, die zum Teil sehr ungute Nebenwirkungen hat. Wir lernen damit zu leben. Die Therapie zeigt aber Wirkung. Deshalb sind wir zuversichtlich.

Die Welt: Durch Krebs haben Sie eine Tochter verloren. Hadern Sie mit Gott, dass er Ihnen beiden auch noch die Krebserkrankung ihrer Frau auferlegt?

Schneider: Der Verlust unserer Tochter ist für uns nicht mit Annes Erkrankung zu vergleichen. Wir leben auch jetzt in dem Bewusstsein, allen Grund zur Dankbarkeit für ein langes und reiches gemeinsames Leben zu haben. Wir beide kommen in ein Alter, in dem Tod und Sterben gegenwärtig sind. In unserem Bekanntenkreis sind einige Menschen unseres Alters schon tot.

Die Welt: Der evangelische Glaube gründet im Gegenüber von Individuum und Gott. Wenn wir Individuen sind, die das Leid des Lebens erfahren: Können wir Gott sagen, dass er sich mal klar machen soll, was er uns zumutet?

Schneider: Ich bin mir sicher, dass ich mich einigen peinlichen Fragen stellen muss, wenn ich dereinst Gott gegenüberstehe. Aber ich werde auch kritische Fragen an ihn haben.

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