Margot Käßmann: Mehr als Ja und Amen: Auch beim Karneval müssen wir unsere Freiheit verteidigen

Margot Käßmann: Auch beim Karneval die Freiheit verteidigen

Pfarrerin Margot Käßmann (56)

Foto: Niels Starnick

Zwar bin ich weder Kölnerin noch ausgewiesener Karnevalsfan und auch noch evangelisch. Aber ich war oft beeindruckt davon, dass die Wagen im großen Umzug frech, satirisch und wunderbar „politically incorrect“ politische und gesellschaftliche Fragen thematisiert haben.

Jetzt wurde ein bunt gekleideter Junge mit roter Pappnase verbannt, der einer Karikatur eines islamistischen Terroristen einen Bleistift in den Gewehrlauf hält. Hinter ihm eine Friedenstaube mit Pinsel und die ermordeten Zeichner von „Charlie Hebdo“.

Das ist doch ein großartiges Motiv: echt Karneval, leicht, ein bisschen böse, ein bisschen zum Nachdenken, ein bisschen zum Schmunzeln. Gut gemacht, kreativ, ein wenig humorvoll und doch mit ernstem Hintergrund: Europa votiert für Freiheit der Gedanken und gegen Gewalt.

Genau solche Motive geben Karneval Bedeutung, weil sie zeigen: Es geht nicht nur um Schunkeln und Trinken, das Denken wird nicht einfach ausgeschaltet. „Einen Persiflagewagen, der die Freiheit und leichte Art des Karnevals einschränkt, möchten wir nicht“, schrieb das Komitee zur Begründung, diesen Wagen aus dem Zug zu nehmen.

Das ist ein Trauerspiel. Denn es ist eine Selbstbeschränkung der Freiheit, die da geschieht. Der Karneval hatte nicht immer nur „leichte Art“, sondern immer auch anstößige Satire. Angela Merkels „Problemzonen“ etwa fand ich nicht wirklich geschmackvoll. Sowas aber galt als Freiheit des Karneval.Wie soll das weitergehen? Bei der Kölner Stunksitzung gibt es doch immer wieder gute Gesellschaftskritik auf hohem Niveau – wird nun jede Erwähnung der Attentate von Paris der Zensur anheimfallen? Es gibt angeblich Drohungen gegen die Hauptbahnhöfe Berlin und Dresden – wollen wir nicht mehr Bahn fahren?

Demonstrationen werden bedroht – soll das Demonstrationsrecht eingeschränkt werden? Es gab ein Attentat auf Züge in Madrid 2004, auf drei U-Bahnen und einen Bus in London 2005, auf den Boston Marathon 2013. Ganz zu schweigen von den alltäglichen Attentaten in anderen Regionen der Welt.

Wollen wir aus lauter Angst in unseren Wohnungen bleiben? Dann hätten die Terroristen ihr Ziel erreicht.

Wie stolz waren wir, dass sich die Franzosen nicht haben unterkriegen lassen, sondern zu Millionen auf die Straße gegangen sind für die Freiheit. Ich finde, wir dürfen uns nicht ängstigen lassen und unsere Freiheit selbst einschränken, schon bevor es überhaupt eine Drohung gibt.

Denn das ist das Großartige an Europa: Wir dürfen frei reden, es gibt Freiheit zu glauben oder auch nicht zu glauben, Freiheit zur politischen Meinung. Diese Freiheit endet da, wo sie anderen Gewalt androht, die Freiheit des anderen nicht respektiert. Vielleicht ist diese Freiheit schon zu selbstverständlich geworden, als dass Menschen den Mut hätten, sie zu verteidigen. Das aber sollten wir tun. Jeden Tag, und auch beim Feiern, ja beim Karneval!

Wie heißt es in der Bibel: „Ihr seid zur Freiheit berufen.“ (Galater 5, 13) Bleiben Sie behütet.

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