sozial-Politik

Gastbeitrag

Pro und Kontra: Eine Rentenversicherung für alle




Martin Staiger
epd-bild/privat
Seit der WDR im April eine Studie veröffentlicht hat, dass im Jahr 2030 rund 50 Prozent der Rentnerinnen und Rentner Altersarmut droht, wird wieder intensiv über die Rente diskutiert. Der Sozialexperte Martin Staiger von der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg diskutiert zwei Reformvorschläge: Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze und Einführung einer Bürgerversicherung.

Die Zahl von 50 Prozent, die der WDR genannt hat, ist vermutlich zu hoch gegriffen. Die bereits seit einigen Jahren wachsende Altersarmut wird jedoch, wenn es zu keiner Rentenreform kommt, weiter kontinuierlich steigen. Diese absehbare Entwicklung ist seit langem bekannt, und so gibt es seit vielen Jahren zahlreiche Ideen, wie die Rente reformiert werden kann. Zwei dieser Reformvorschläge werden im Folgenden vorgestellt und ihre Vor- und Nachteile erörtert.

Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze

Nach geltender Rechtslage sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die mehr als 450 Euro pro Monat verdienen, in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert. Der von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu gleichen Teilen zu bezahlende Rentenversicherungsbeitrag beträgt 18,7 Prozent des Bruttolohns – allerdings gilt das nicht durchgängig.

So unterliegt ein Monatsbruttolohn oberhalb von 6.200 Euro in West- und 5.400 Euro in Ostdeutschland nicht mehr der Rentenversicherungspflicht. Wer über dieser Beitragsbemessungsgrenze genannten Schwelle verdient, bezahlt nur für 6.200 bzw. 5.400 Euro im Monat in die Rentenkasse ein. Dies hat zur Folge, dass der Prozentsatz des Gehaltes, den Großverdienerinnen und Großverdiener an die Rentenkasse abführen müssen, nur einen Bruchteil der 18,7 Prozent beträgt, die für Normalverdienerinnen und Normalverdiener fällig werden. Würde man diese Beitragsbemessungsgrenzen abschaffen, würden sich die Einnahmen der Rentenversicherung schlagartig erheblich erhöhen und es könnten deutlich höhere Renten bezahlt werden.

Bewertung: Eine Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze hat auf den ersten Blick ihren Charme, da deutlich mehr Geld in die Rentenkasse käme und der wohlhabendere bis reiche Teil der Bevölkerung adäquat an der Finanzierung der Alterssicherung beteiligt würde. Der Vorschlag hat jedoch einen Pferdefuß: Je höher die Einzahlungen in die Rentenkasse heute sind, desto höher sind die Renten im Alter. Würde eine Topmanagerin mehrere Jahrzehnte Monat für Monat einen hohen fünfstelligen Betrag in die Rentenversicherung einzahlen, erwirbt sie sich damit einen Anspruch auf eine im mittleren fünfstelligen Bereich liegende Monatsrente. Und da die Lebenserwartung mit dem Einkommen steigt, würde das für die Rentenversicherung, die heute von erhöhten Einnahmen profitieren könnte, ziemlich teuer.

Lösen könnte man dieses Problem mit einer Anleihe aus der Schweiz, wo es keine Beitragsbemessungsgrenze, aber eine Höchstrente gibt. Eine Höchstrente ist dem System der deutschen Rentenversicherung, in der die Höhe der Renten strikt von der Höhe der Einzahlungen abhängig ist, jedoch fremd. Und da Rentenanwartschaften unter den Eigentumsschutz des Grundgesetzes stehen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass eine Höchstrente vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden würde. Ohne Höchstrente wäre die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze jedoch ein rentenpolitisches Eigentor, das kurzfristig ein Problem lindern, es langfristig jedoch verschärfen würde.

Erwerbstätigen- bzw. Bürgerversicherung

Ebenfalls schon länger wird der Vorschlag diskutiert, die gesetzliche Rentenversicherung zu einer alle Erwerbstätigen erfassenden Versicherung zu erweitern. Eine Variation dieser Idee der Erwerbstätigenversicherung ist die Bürgerversicherung, in der nicht nur Erwerbstätige, sondern alle Bürgerinnen und Bürger ab einem gewissen Alter (ab 16 oder 18 Jahre zum Beispiel) versichert sein sollen. Das Nebeneinander von über die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler abgesicherten Beamten, den gesetzlich rentenversicherten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, den über ihre Kammern versicherten sogenannten Kammerberufen (Ärztinnen, Rechtsanwälte, Steuerberaterinnen u.a.) und den mehr oder weniger gut privat abgesicherten Selbstständigen würde abgelöst von einer einheitliche Versicherung, in die alle einzahlen und aus der alle ihre Rente erhalten.

Bewertung: Die Erwerbstätigen- bzw. die Bürgerversicherung ist eine sozial gerechte Idee. Sie kann schon deshalb mit einer hohen Akzeptanz in der Bevölkerung rechnen, da die gegenüber den gesetzlich Rentenversicherten deutlich privilegierten Beamten und Mitglieder der Kammerberufe mit den gesetzlich Rentenversicherten gleichgestellt werden würden. Die Einbeziehung der selbstständig Tätigen würde außerdem zur Linderung der Altersarmut beitragen, da ein in den letzten Jahren stark gewachsener Anteil der Selbstständigen inzwischen zu den „Soloselbständigen“ zählt, von denen viele so wenig verdienen, dass sie keine ausreichende Altersvorsorge betreiben können.

Eine Erwerbstätigen- bzw. eine Bürgerversicherung ist ein mittel- bis langfristig erstrebenswertes Ziel. Aber auch eine solche Versicherung würde die Herausforderung, dass sich das quantitative Verhältnis zwischen Rentnerinnen und Rentner auf der einen und Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern auf der anderen Seite verschieben wird, nicht lösen. Lösen ließe sich das Problem, indem man dem Rentensystem zusätzlich zu den Beiträgen sukzessive mehr Steuergelder zukommen lässt.

In absehbarer Zeit werden Steuergelder im erheblichen Umfang dadurch freiwerden, dass bei einer sinkenden Zahl von Kindern und Jugendlichen deutlich weniger für Familienleistungen, Kitas und Schulen ausgegeben werden muss. Außerdem wird der hierzulande erwirtschaftete Wohlstand, wenn die Produktivität absehbar weiter wachsen lässt – Stichwort Industrie 4.0 – weiter zunehmen, so dass man einen Teil davon in die Rentenkasse umverteilen kann. Solange es noch keine Erwerbstätigen- bzw. Bürgerversicherung gibt, sollte der gesetzlichen Rentenversicherung mehr Steuergelder zukommen. Eine solche Maßnahme findet zwar momentan bei den Berufspolitikern keine Mehrheit. Wenn nicht alles täuscht, ließe sich aber eine Mehrheit in der Bevölkerung von einer solchen Idee durchaus überzeugen.

Martin Staiger publizierte 2013 im Publik-Forum-Verlag das Buch „Rettet die Rente. Wie sie ruiniert wurde und wie sie wieder sicher wird“

Martin Staiger ist freier Publizist und Lehrbeauftragter für Sozialrecht an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg.

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