Ausgabe 22/2016 - 03.06.2016
Berlin (epd). Für die anstehende Reform des Vergütungssystems für psychiatrische Kliniken hat Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die anhaltende Kritik von Ärzten und Patienten berücksichtigt. Das umstrittene „Pauschalierende Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik“ PEPP, nach dem bereits einige Kliniken freiwillig abrechnen, soll vor seiner verpflichtenden und flächendeckenden Einführung im Januar 2017 mit dem neuen Gesetz grundlegend geändert werden. Doch Verbänden von Ärzten, Pflegern und Angehörigen gehen die Pläne der Bundesregierung nicht weit genug.
Wie schon im Eckpunktepapier im Februar vorgeschlagen, will Gröhe psychiatrischen Krankenhäusern anders als somatischen Kliniken weiterhin erlauben, regionale Budgets zu verhandeln. Hierdurch sollen Kliniken besondere Bedingungen von strukturschwachen Regionen oder auch die Behandlung besonders vieler alter oder drogenabhängiger Patienten berücksichtigen können. In einer Stellungnahme begrüßt dies die Deutsche Krankenhausgesellschaft. „Im Mittelpunkt muss – im Interesse des Patienten – grundsätzlich der Finanzbedarf des einzelnen Krankenhauses stehen", erklärte Verbandspräsident Thomas Reumann.
Auch stellt der Gesetzentwurf klar, dass es wie bisher verbindliche Mindeststandards für die Personalausstattung geben soll, die sich - wie von Verbänden gefordert - an Behandlungsleitlinien orientieren sollen. Doch hätten diese sich mehr erwartet. Es seien zwar viele Kritikpunkte aufgenommen worden, sagt Iris Hauth, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. „Aber die Ausgestaltung müsste aus unserer Sicht noch konsequenter sein.“
So soll nach Gröhes Plänen das neue Modell weiterhin auf dem Abrechnungssystem PEPP mit seinen kritisierten Behandlungspauschalen aufbauen. „Es wird nicht ausreichend deutlich, dass PEPP vereinfacht werden soll“, sagt Hauth. Dies sei nicht im Sinne der knapp 20 Psychiatrie- und Betroffenenverbände, die im vergangenen Jahr einen Alternativvorschlag erarbeitet hatten. Sie hatten auch kritisiert, dass mit PEPP künftig deutlich mehr Zeit für die Dokumentation und Verwaltung aufgebracht werden müsste. „Es sieht danach aus, dass eher mehr Bürokratie und Dokumentationsaufwand kommen werden“, sagt Hauth. „Wir wollen hingegen eine Bürokratieverschlankung, damit wir mehr Zeit für die Patienten haben.“
Gisela Neunhöffer, die bei der Gewerkschaft ver.di für den Bereich psychiatrische Einrichtungen zuständig ist, findet die Abkehr vom geplanten Preis-System zwar richtig, schließt sich aber der Kritik an. „Wir haben ja immer gesagt, PEPP muss weg – nun bleibt es aber weiterhin Grundlage für den Krankenhausvergleich und für Budgetverhandlungen“, sagt Neunhöffer. „Es gibt Schritte in die richtige Richtung, es ist aber keine ganz grundlegende Neufassung des Psychiatrie-Entgeltsystems.“
Ähnlich sieht es auch Thomas Pollmächer, Vorsitzender der Bundesdirektorenkonferenz der Psychiater. „Es gibt einige reparierende Komponenten, aber es ist kein tragfähiges Konzept für die nächsten 30 Jahre“, sagt er.
Das geplante Gesetz stelle die Kliniken vor das große Dilemma, dass ihnen ausreichend Personal für eine leitliniengerechte Behandlung versprochen wird, doch möglicherweise nicht ausreichend Geld zur Verfügung gestellt wird. „Die Personalvorgaben müssen nicht verpflichtend finanziert werden“, bemängelt Hauth. Das könne dazu führen, dass zwar Mindeststandards existieren, die nötigen Personalstellen und auch Tariferhöhungen von den Kassen aber nicht getragen werden. „Wir müssen als Fachgesellschaften daran arbeiten, dass dies sichergestellt wird“, sagt die Psychiaterin. Die meisten Kliniken würden schon jetzt weit unter den bestehenden Standards liegen.
Auf Zustimmung trifft das sogenannte Home-Treatment: Um Patienten einen Klinikaufenthalt zu ersparen, könnten sie künftig in manchen Fällen auch ambulant versorgt werden. „Bisher konnten wir keine Patienten in der Akutphase zu Hause behandeln“, sagt Hauth. Dies gäbe einen Impuls, Patienten nicht nur in Kliniken zu behandeln, wie es schon die Psychiatrie-Enquete vor 41 Jahren forderte.
„Es ist sehr gut, dass Gesundheitsminister Gröhe die Tür zur Weiterentwicklung aufgemacht hat“, sagt Hauth. „Das war nicht zu erwarten.“