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  3. Mathias Döpfner: Warum es guten, unabhängigen, also kritischen Journalismus braucht - Deniz Yücel

Meinung Mathias Döpfner

WIR SIND DENIZ

Deniz Yücel in der Türkei in Untersuchungshaft

Der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel muss in der Türkei in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: Yücel habe Propaganda für eine terroristische Vereinigung betrieben. Zuvor war der Journalist bereits 13 Tage in Polizeigewahrsam.

Quelle: N24/Sebastian Plantholt

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„Welt“-Korrespondent Deniz Yücel, ein brillanter Journalist, sitzt in der Türkei in U-Haft. Sein Fall ist kein Einzelfall. Warum es guten, unabhängigen, also kritischen Journalismus braucht.

Gedankenfreiheit, Kunstfreiheit und Pressefreiheit sind hoffentlich unbequem. Aber: Die Demokratien der Mitte, die den Schutz dieser Freiheiten als konstituierende und also unter allen Umständen schützenswerte Elemente ihres Systems begreifen, sind weltweit geschwächt, matt, zum Teil taumelnd. Sogenannte Populisten, Kaum-Demokraten und Diktatoren sind dagegen im globalen Angriffsmodus und stürmen von Erfolg zu Erfolg - die Verachtung und Einschränkung intellektueller Freiheiten ist dabei ein Muster. Vor allem als Mechanismus der Einschüchterung.

Orban erließ in Ungarn ein neues Mediengesetz, drangsaliert Journalisten und renationalisiert die zeitgenössische Kunst- und Museums-Landschaft. Jarosław Kaczyński lässt in Polen missliebige Journalisten im Fernsehen auswechseln und Auguren fürchten eine Änderung des polnischen Mediengesetzes quasi nach russischem Vorbild. Dort ließ Putin Anfang 2016 ein Gesetz in Kraft treten, das ausländischen Verlagen Beteiligungen an Medienunternehmen von über 20 Prozent rückwirkend verbot. De facto eine Enteignung. Machtgesten auch in der Kunst: angelegentlich der Manifesta in St. Petersburg wurden 2014 einige allzu provokative Arbeiten des Fotografen Wolfgang Tillmans nicht ausgestellt, weil klar war, dass sie sonst abgehängt werden würden.

China hat damit beste Erfahrungen gemacht: je grotesker die Demütigungen des Künstlers Ai Weiwei und je größer die internationale Empörung, desto besser. Berichterstattung in China gibt es darüber nur in Form von Propaganda, da Medien erstens staatlich und zweitens stringent zensiert sind. Aber nicht nur in der größten Diktatur, sondern auch in der einflussreichsten Demokratie der Welt hat der kritische Journalismus Gegner an höchster Stelle. Donald Trump hat „den Medien“ nicht nur pauschal den Krieg erklärt, sondern auch gleich das traditionelle Korrespondenten-Dinner mit dem Präsidenten abgesagt. Da wundert es nicht, dass auch der Präsident der Türkei die Einschüchterung kritischer Journalisten zum systematischen Mittel seines Regierungsstils erhoben hat. Der jüngste Fall: „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel wurde der „Propaganda für eine terroristische Vereinigung“ und der „Aufwiegelung der Bevölkerung“ beschuldigt und in Polizeigewahrsam genommen. Am Montag beantragte ein Staatsanwalt Untersuchungshaft für Yücel, am Abend entschied ein Haftrichter Yücel in Untersuchungshaft zu stecken.

Überwältigend groß war die Empörung und die Solidarität

Yücel ist ein brillanter Journalist, ein in jeder Hinsicht unabhängiger Kopf und freier Geist, und als solcher besorgt über viele Entwicklungen in der Türkei. Seine Behandlung als Verbrecher ist ein Signal: so kann es jedem gehen, der sich solche Freiheiten nimmt. Sein Fall ist kein Einzelfall, er ist Teil eines Systems, von neuer Qualität ist er nur deshalb, weil hier der Korrespondent einer nichttürkischen Zeitung betroffen ist.

+++Lesen Sie hier Deniz Yücels Analyse über den Datenklau bei Erdogans Energieminister (Exklusiv für Abonnenten)

Überwältigend groß war die Empörung und Solidarität in Deutschland und weit darüber hinaus. Und genau dafür möchte ich mich bedanken. Denn dieser Zusammenhalt weit über die Grenzen üblicher ideologisch-politischer Verortungen und Gegnerschaft hinweg ist nicht nur ein sehr schönes Signal von Menschlichkeit und Empathie, er ist vor allem richtig und klug. Weil er denen, die einschüchtern wollen, unschüchtern begegnet. Und damit die Waffen der Einschüchterer nicht nur stumpf werden lässt, sondern ihre Wirkung ins Gegenteil verkehrt. Je mehr Willkür und Autorität auf der einen Seite, desto mehr Widerstand und Autoritätskritik auf der anderen. Nun kann man sagen, dass das russischen, chinesischen und türkischen Regierungen herzlich egal ist. Aber für uns, für den Kompass und das Selbstbewusstsein unserer offenen Gesellschaften ist es absolut nicht egal. Wir spüren, vielleicht mehr als in manchmal eifernden Kampagnen gegen den Brexit oder einen Präsidentschafts-Kandidaten, warum es guten, unabhängigen und also kritischen Journalismus braucht. Wir spüren unsere Aufgabe und unsere Möglichkeiten.

Wir Journalisten sind in diesen Tagen - in denen es nicht nur um unseren Deniz Yücel oder den Kommunikationsstil des amerikanischen Präsidenten geht - gut beraten mit den Gegnern unserer freiheitlichen Werte besonders fair und genau umzugehen. Denn wir wollen es ihnen erstens nicht auch noch leicht machen, uns zu diskreditieren. Und wir wollen zweitens unter keinen Umständen mit den Mitteln unserer Gegner kämpfen.

+++Lesen Sie hier Mathias Döpfners Kommentar in türkischer Sprache

Wir kämpfen mit unerschrockener Recherche, präzisen Fakten und klugen Gedanken. Unter anderem dafür, dass Kunst und Medien frei sind. Denn da wo man Gedanken nur deshalb die Freiheit nimmt, weil sie einem nicht gefallen, tut man das früher oder später auch mit den Menschen. Wie die Entscheidung des Haftrichters zeigt.

Der Autor ist Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, in der auch die “Welt“ erscheint, und Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger.

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