Thomas de Maizière im Interview„Die Verrohung der Gesellschaft hat zugenommen“

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Maiziere

Bundesinnenminister Thomas de Maiziere sieht in der Schleierfahndung „ein sehr wirksames Mittel“.

Köln – Wie erleben Sie den Wahlkampf in NRW?

Die Stimmung im Wahlkampf ist gut, was nicht selbstverständlich ist. Die NRW-CDU hatte früher mehr Selbstzweifel, während es jetzt aus meiner Sicht zu Recht Zuversicht gibt – Zuversicht, die mit der guten Arbeit, aber nicht zuletzt auch mit dem Rückenwind des Wahlergebnisses von Schleswig-Holstein zu tun hat. All das stimmt auch mich zuversichtlich.

Ist es um die Innere Sicherheit in NRW schlechter bestellt als in anderen Bundesländern?

Ja, so ist es, wenn man nach den Zahlen geht. Man muss allerdings schon sehen: Ein Land mit vielen Ballungsgebieten wie NRW hat natürlich immer eine höhere Kriminalitätsquote, insoweit hat die Landesregierung im Grundsatz Recht. Aber der Abstand zu anderen Ländern, in denen es auch vergleichbare Ballungszentren gibt, ist dennoch auffällig. Die Einbruchszahlen sind zwar im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen, aber sie sind in NRW noch immer auf einem sehr hohen Niveau.

Auf eine Verbesserung, die auf solch bescheidenem Niveau stattfindet, kann auch die Landesregierung nicht ernsthaft stolz sein. Das erinnert mich an einen Schüler, der immer eine fünf in Mathe geschrieben hat und jetzt freudestrahlend mit einer vier Minus nach Hause kommt. Bedenken Sie nur: In Köln gab es letztes Jahr 371 Einbrüche pro 100.000 Einwohner, in München aber nur 84.

Schleierfahndung als wirksames Instrument

Welche Fehler sind hausgemacht?

Es gibt nicht die eine Maßnahme, die alles löst. Man braucht ein Bündel von Maßnahmen. Zum einen braucht man mehr Polizei. Die Polizeidichte in NRW ist im Vergleich zu anderen Bundesländern viel zu gering. Zweitens: Die Schleierfahndung ist ein wirksames Instrument, um Rechtsverstöße im Grenzraum aufzudecken. Das zeigt jede Erfahrung. Das hilft gerade bei grenzüberschreitend arbeitenden Banden.

Es ist aus meiner Sicht unverantwortlich, wenn NRW – offenbar aus ideologischen Gründen - als einziges Flächenland nicht bereit ist, die Schleierfahndung einzuführen. Ein sehr wirksames Mittel im Kampf gegen reisende Banden und gegen Autodiebstahl sind auch Kennzeichenlesegeräte, die in zwölf von 16 Bundesländern zum Einsatz kommen, aber nicht in NRW, weil die Grünen das für Teufelszeug halten. Dabei werden nur die Kennzeichen, bei denen es einen Treffer in polizeilichen Datenbanken gibt, nach dem Abgleich aufbewahrt. Auch die Videoüberwachung schafft mehr Sicherheit. Auch wenn sie Straftaten nicht immer verhindert, so trägt sie jedenfalls dazu bei, die Täter hinter Schloss und Riegel zu bringen. Auch da ist die Landesregierung zu zögerlich.

Die Gewaltkriminalität steigt an…

Das zeigt, dass die Verrohung der Gesellschaft insgesamt zugenommen hat. Das liegt auch an den Straftaten, die Zuwanderer begehen und ebenso an den Straftaten gegen Zuwanderer. Aber wer glaubt, wir hätten keine Sicherheitsprobleme, wenn es keine Zuwanderer gäbe, macht es sich zu einfach.

Welche Rolle spielen Integrationsprobleme für den Anstieg?

Die Form der Unterbringung und ethnische Konflikte haben sicher eine Rolle bei der hohen Zuwandererkriminalität gespielt. Es war eben eng in den Unterkünften, und es gab ethnische Konflikte. Das darf man aber nicht als Entschuldigung werten: Gewalt ist immer inakzeptabel. Das gilt für Gewalt von Zuwanderern ebenso wie für Gewalt gegen sie.

Erdogan in der Opferrolle

Viele Türken in Deutschland haben für das Referendum in der Türkei gestimmt. Was sind die Gründe dafür?

Erdogan hat es geschafft, das Referendum zu einer Frage über Stolz oder Demütigung der Türkei zu machen. Ich vermute, dass viele Türken eher für das Referendum gestimmt haben, weil sie stolz auf Ihr Land sind als deswegen, weil sie jede Verästelung der von Erdogan vorgeschlagenen Verfassungsänderungen gut heißen. Erdogan hat sich kommunikativ in eine Opferrolle begeben, und das hat leider funktioniert.

Sie haben eine Debatte über die Leitkultur angestoßen. Ist das Grundgesetz nicht unsere Leitkultur?

Natürlich ist das Grundgesetz der grundlegende Maßstab für unser Zusammenleben. Aber es gibt viele Dinge, die im Grundgesetz nicht stehen, aber trotzdem für unser Zusammenleben wichtig sind. Dazu zählt für mich zum Beispiel dass jeder, der in Deutschland leben will, deutsch sprechen können sollte. Auch unsere besondere Verbundenheit mit dem jüdischen Volk steht nicht im Grundgesetz. Ich wollte eine Debatte darüber auslösen, wie wir ein neues Wir-Gefühl schaffen und einen Kontrapunkt gegen die zunehmende Verrohung setzen. Darüber zu sprechen, wer wir eigentlich sind und wie wir sein wollen als Deutsche: Das ist der notwendige Anfang einer solchen Debatte.

Ärger um den Begriff der „Leitkultur“

Ihre Gegner behaupten, Sie wollten den Menschen vorschreiben, sich die Hand zur Begrüßung zu geben…

Das ist aus meiner Sicht eine Kritik von Leuten, die mein Papier vielleicht gar nicht gelesen haben, sondern sich reflexartig vor allem am Begriff der „Leitkultur“ stoßen. Mir geht es nicht darum, den Menschen vorzuschreiben, dass sie sich die Hand zu Begrüßung geben sollen.

Ich wollte mit dem Zehn-Punkte-Katalog aufzeigen, was man tun kann, um ein Vorbild zu sein und wie man höflich miteinander umgeht. Wir müssen der Verrohung der Gesellschaft einen positiven Entwurf entgegensetzen und klar sagen, wie wir miteinander umgehen wollen und wie nicht. Das treibt mich um. Unsere „Leitkultur“ hat letztendlich auch Auswirkungen auf unsere Innere Sicherheit.

Ihre Aussage „Wir sind nicht Burka“ wurde als Wahlkampfgetöse abgetan…

Ein Lehrer hat mir geschrieben, die Aussage sei grammatikalisch falsch. Das stimmt, aber der Satz war eine bewusste Zuspitzung. Er soll verdeutlichen, dass wir uns in Deutschland nicht verstecken, sondern unser Gesicht zeigen und unseren Namen sagen. 

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