Interview mit Julia Klöckner: Warum findet die CDU jetzt plötzlich die Schwulen-Ehe gut?

Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner (40) redet Klartext

Von: Von ANNA VON BAYERN und ROMAN EICHINGER; Foto: WOLFGANG WILDE

BILD am SONNTAG: Frau Klöckner, mehrere SPD-regierte Bundesländer wollen das Sitzenbleiben in der Schule abschaffen. Ist das eine gute Idee?

JULIA KLÖCKNER: Das bezweifle ich. Das ist so, als würde man im Fußball das Absteigen abschaffen. Gutes Training, gute Förderung sind wichtig. Wettbewerb motiviert und zeigt den Jugendlichen, wo sie stehen.

Erfolgskontrollen und Besserwerden-Wollen können nicht durch eine Kuschelhaltung ersetzt werden nach dem Motto „Alles ist für jeden ohne Anstrengung immer möglich“.

Das rächt sich spätestens beim Berufseinstieg, das ist den jungen Menschen gegenüber nicht fair. Sitzenbleiben und Noten abzuschaffen, ist gefährlich, die Probleme werden nur in die Zukunft verschoben.

Das gaukelt eine Sicherheit vor, die es im Leben nicht gibt. Die Gegner des Sitzenbleibens machen geltend, dass es sinnvoller ist, die spezifischen Schwächen versetzungsgefährdeter Schüler zu fördern, anstatt sie den gesamten Lernstoff eines Schuljahres wiederholen zu lassen...?

Welches Lehrer-Bild hat denn Rot-Grün?

Täglich setzen sich Lehrer ein, in der Gemeinschaft des Klassenzimmers den einzelnen Schüler zu fördern. Das ist der Erfolgsgarant der deutschen Bildungspolitik.

Aber angesichts des Lehrermangels zum Beispiel in Rheinland-Pfalz, Klassen mit über 30 Kindern und spürbarem Unterrichtsausfall ist die Idee der ganz gesonderten rot-grünen Einzelbehandlung von sehr schwachen Schülern ohne Wiederholung reine Augenwischerei.

Außerdem bleibt man nicht wegen nur einer schlechten Note sitzen, sondern weil der Schüler insgesamt in seiner Klasse nicht mithalten kann. Und mancher junge Mensch wird im Handwerksberuf glücklicher, als wenn er gegen seine Neigung durchs Abitur gedrückt wird.

Waren Sie eigentlich mal gefährdet, eine Klasse zu wiederholen?

Nein, zum Glück nicht. Aber allein schon die Vorstellung, nicht mehr mit meinen Freundinnen in eine Klasse gehen zu können, war ein enormer Ansporn, ordentlich zu lernen.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Adoptionsrecht denkt die CDU darüber nach, die Lebenspartnerschaft Homosexueller der Ehe vollständig gleichzustellen.

Warum findet die CDU jetzt plötzlich die Schwulen-Ehe gut?

Die Tendenz der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ist klar, es wird sich einiges ändern müssen, zumal die steuerliche Ungleichbehandlung – gleiche Pflichten, aber nicht gleiche Rechte – schon rein logisch nicht durchzuhalten ist. Die Union nimmt das Verfassungsgericht ernst und wird handeln.

Nächste Woche starten mehrere SPD-regierte Bundesländer und das Saarland, in dem Ihre Parteifreundin Annegret Kramp-Karrenbauer Ministerpräsidentin ist, eine Initiative für einen flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro.

Was halten Sie davon?

Warum nicht zehn, zwölf oder 15 Euro? Einen starren Stundenlohn für die Friseurin an der luxemburgischen Grenze bis zum Taxifahrer an der Ostgrenze Deutschlands halte ich im Interesse der Arbeitnehmer für nicht zielführend.

Vor Ort weiß man am Besten, was angemessen ist. Daher sollen sich die Tarifpartner zusammensetzen und das aushandeln, nicht der Gesetzgeber in Berlin.

Sie sind gläubige Katholikin, haben Theologie studiert, sind heute Mitglied im Zentralkomitee deutscher Katholiken. Was sagen Sie zum Rücktritt von Papst Benedikt XVI.?

Ich habe davon auf dem Rosenmontagsumzug in Mainz erfahren. Mitten in das Helau platzte diese kirchengeschichtliche Zäsur. Ich finde es ein starkes Zeichen, selbst als Papst loslassen und die Grenzen ziehen zu können.

Am Ende hat Benedikt alle überrascht, ungewöhnlich revolutionär für einen, der als Bewahrer und nicht Modernisierer galt.

Wie lange wird es noch dauern, bis eine Frau Papst wird?

Für mich ist das nicht die zentrale Frage. Ich halte aber das Diakonat der Frau für angebracht.

Warum sollte die Kirche auf die Fähigkeiten von Frauen verzichten?

In Zukunft wird es darum gehen, Menschen für den Glauben, für die Botschaft Jesu zu begeistern. Dazu gehört natürlich die Glaubwürdigkeit des „Bodenpersonals“, eine packende und lebensnahe Ansprache bei der Predigt.

Und Kirche muss sich immer auch einem Realitätscheck stellen: Wird sie ihren eigenen Ansprüchen gerecht – zum Beispiel als Arbeitgeber?

Was kann die Kirche jetzt konkret tun?

Kirche hätte nicht 2000 Jahre überlebt, wenn sie jeden Trend mitgemacht hätte. Aber Kirche kommt nicht umhin, sich den veränderten Nöten im Alltag zuzuwenden. Sie muss die Sprache der Menschen, auch der Frauen, verstehen und sprechen.

Bei den Missbrauchsfällen darf es kein Relativieren geben. Alles muss getan werden, dass so etwas nicht mehr passiert. Das Krisenmanagement und die Öffentlichkeitsarbeit der Kirche sind durchaus optimierbar, wenngleich ich auch nichts davon halte, wenn sie sich dem Zeitgeist anbiedern wollte.

Aber es gibt so sympathische Kirchenvertreter, warum werden nicht sie in die Talkshows geschickt?

Was ist Ihnen besonders wichtig?

Dass zum Beispiel wiederverheiratete Geschiedene zur Eucharistie zugelassen werden. Wenn ein Mörder zum Tisch des Herren zugelassen ist, was ich richtig finde, aber jemand, der sich von seinem Partner getrennt und neu verheiratet ist, nicht, dann ist das unbarmherzig.

Wenn Kirche in der Realität ankommen will, muss sie sich dieses Themas annehmen.

Wie oft beten Sie und wofür?

Zu Hause auf dem Weingut, wo ich aufgewachsen bin, wird vor dem Essen gebetet, das klassische „Komm, Herr Jesu, sei unser Gast, und segne alles, was Du uns bescheret hast“. Meine Nichte hat eine besondere Kurzformel: „Herr, lass Deinen Segen über dieses Essen fegen.“

Es gibt Momente, die ich als Prüfung erlebe, in denen ich ein Stoßgebet sende. Aber manchmal auch einfach nur, wenn mir die Sonne ins Gesicht blinzelt.

Beten Sie auch vor politischen Entscheidungen?

Das kommt vor, und auch vor wichtigen Reden schicke ich gern mal einen Gedanken nach oben.

Was ist Ihr Lieblingsvers aus der Bibel?

Im neuen Testament schreibt Markus: „Neuer Wein gehört in neue Schläuche“ – durchaus eine politische Botschaft.

Was bedeutet die Fastenzeit für Sie?

Verzicht. Bis Ostern keine Gummibärchen, keinen Alkohol. Auf den verzichtet, soweit ich weiß, auch unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Frau Klöckner, sind Sie eine Quotenfrau?

Den Einstieg in die Politik habe ich der Frauenquote in der CDU zu verdanken. Ich wurde damals zur Bundestagswahl gefragt, ob ich kandidieren wolle, weil der Listenplatz sechs, ein Frauenplatz, frei war.

Im nächsten Landtagswahlkampf wird es zum ersten Mal ein Duell zwischen zwei Frauen geben, nämlich zwischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und Ihnen. Was schätzen Sie an ihr?

Ich finde es gut, dass sie auf mein Angebot eingegangen ist, uns einmal zusammenzusetzen und die wichtigen Themen zu besprechen.

Malu Dreyer hat keine Kinder, die Kanzlerin nicht und Sie auch nicht. Müssen Spitzenpolitikerinnen für ihre Karriere auf Kinder verzichten?

Nein, da gibt es ja genügend Gegenbeispiele. Es gibt auch viele Männer in der Spitzenpolitik mit, aber auch ohne Kinder.

Frau Klöckner, hat man Ihnen schon einmal gesagt, dass Sie ein Dirndl gut ausfüllen können?

Nicht, dass ich mich erinnere. Wenn mir jemand, der mir nicht nahe steht, das gesagt hätte, hätte ich mich gewiss zu wehren gewusst.

Der damalige Weinbauminister in Rheinland-Pfalz, Rainer Brüderle, hat seinerzeit anlässlich Ihrer Wahl zur Deutschen Weinkönigin die „Erotisierung“ der Weinwerbung gefordert. Wie fanden Sie das?

Das ist fast 20 Jahre her, genau weiß ich das nicht mehr, wahrscheinlich habe ich erwidert, dass einige Männer in der Politik da selbst noch Nachholbedarf haben.

Kürzlich wurde Brüderle sexistisches Verhalten vorgeworfen. Persönlich habe ich ihn so nicht erlebt. Ich kenne Rainer Brüderle als unterhaltsamen und hemdsärmeligen Politiker.

Die grundsätzliche Debatte um angemessene Nähe und Distanz im Umgang miteinander, dass Frauen gerade in Abhängigkeitsverhältnissen häufig belästigt werden und nun eine Sensibilisierung eintritt, halte ich aber für gut.

Ihre Meinung zum Interview oder zur Homo-Ehe: E-Mail an leserforum@bams.de.

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