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Autor Bachtyar Ali im Interview„Erdogan ist wie Saddam“

Lesezeit 6 Minuten
Bachtyar Ali

Bachtyar Ali

  • Der in Köln lebende kurdische Autor Bachtyar Ali über die Intervention der türkischen Armee in Syrien, Nationalismus, Populismus und eine mögliche Eskalation in Deutschland

Die Türkei geht im Grenzgebiet zu Syrien gegen die kurdische YPG-Miliz vor. Kritiker sagen, Erdogan wolle die Kurden nicht nur aus Afrin, sondern aus dem gesamten Gebiet Rojava vertreiben. Genau dort, in Kobane, haben die Kurden im Herbst 2014 den IS besiegt. Warum schauen die Großmächte jetzt zu?

Für die mächtigen Staaten der Welt ist die Türkei viel wichtiger als es die Kurden sind. Die Kurden haben keinen eigenen Staat, keine Macht - deswegen sind sie zwar manchmal Verbündete, wie beim Kampf gegen den IS oder auch im Irak-Krieg gegen Saddam Hussein - aber es gibt keine strategische Koalition.

Es geht also darum, was den mächtigen Staaten nützt - wie das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei?

Wenn die mächtigen Staaten ein Interesse haben, helfen sie den Kurden - sonst nicht. So lange Saddam Hussein die Kurden getötet hat, hat der Westen weggeguckt. Saddam hat in Halabdscha 5000 Kurden mit chemischen Waffen getötet - niemand hat etwas gesagt. Er hat 1988 viele Tausend Kurden im Südirak lebendig begraben - niemand hat was gesagt. Erst als es um das Öl in Kuwait ging, griffen die USA ein.

Erdogan argumentiert mit Verbindungen der Kurden zur PKK - er bekämpfe Terroristen.

Jeder Kurde, der an Freiheit denkt, ist für Erdogan ein Terrorist. Wenn ein Kurde nur über seine Sprache und seine Identität nachdenkt, ist er Terrorist. Die Türken haben die kurdische Sprache 100 Jahre lang verboten, das ist einmalig in der Geschichte der Menschheit. Die Kurden sollten aus dieser Geschichte verschwinden.

Die Kurden haben keinen eigenen Staat. Es gibt eine autonome Region im Nordirak, dort sind auch Sie geboren, und Siedlungsgebiete in der Türkei, im Iran und in Syrien. Ist Ihr Volk besonders gefährdet, weil es heimatlos ist?

Die Kurden waren immer ein nomadisches Bergvolk, schwer greif- und kontrollierbar, weder vom Osmanischen noch vom Persischen Reich, einerseits. Andererseits sind sie deswegen verfolgt worden - verstärkt, seit im Orient Ende des 19. Jahrhunderts der Nationalismus aufkam. Es gab zwischenzeitlich ein Gesetz, wonach jeder, der 17 Wörter Türkisch konnte, auch einen türkischen Pass erhielt. Die Kurden sollten einfach ausradiert werden.

Und das will Erdogan aus Ihrer Sicht nun auch: Die Kurden ausradieren?

Ja, weil sie eine relativ schwache Minderheit sind, auch im Iran und in Syrien. Der Nationalismus hat im Orient eine faschistische Neigung, es ist ein sehr zerstörerischer Apparat, eine Ideologie, die versucht, Fremdes zu vernichten. Dadurch gibt es eine Kultur der Rassensäuberung.

Ist es nicht übertrieben, von Rassensäuberung zu sprechen?

Nein, was sich jetzt im kurdischen Teil Syriens abzeichnet, deutet daraufhin. Erdogan tut, was Saddam Hussein getan hat. Ich sehe viele Parallelen. Saddam hat Religion und Nationalismus miteinander verknüpft, Erdogan macht das auch. Saddam hat populistische Parolen benutzt, um das Volk zu hypnotisieren, genauso Erdogan heute. Saddam hat immer ein Feindbild gesucht und schwache Opfer, Erdogan genauso.

Wie zeigt sich der Faschismus, von dem Sie sprechen, in den Gesellschaften?

Volksgruppen oder anderen Religionen werden Rechte verweigert. Es ist in der Türkei für viele normal, Kurden als minderwertig zu bezeichnen, für viele Araber sind Juden minderwertig. Iran erkennt den Staat Israel nicht an. Das prägt das Bewusstsein dieser Völker. Seit Jahrhunderten erleben wir im Orient eine Kultur, die Faschismus, Gewalt, Hass und Intoleranz produziert. Die Militarisierung der Gesellschaft, die Verehrung eines Führers, das Gegenteil von Aufklärung und Moral.

Militante Kurden verüben in Deutschland momentan Anschläge auf türkische Einrichtungen. Wie bewerten Sie die Situation?

Das ist völlig inakzeptabel und kontraproduktiv. Gewalt erzeugt Gewalt. Wenn der Konflikt nach Deutschland kommt, wird es ein großer und gewalttätiger Konflikt - es gibt viele radikale Türken und viele radikale Kurden. Das ist fast unkontrollierbar.

Sie sind selber Flüchtling - sie wurden bei einer Demonstration verwundet, saßen im Gefängnis, kamen schließlich als einer der bekanntesten kurdischen Schriftsteller nach Deutschland und haben 16 Jahre keinen Verlag gefunden.

Ich hatte großes Glück, weil ich von Anfang an von meiner Literatur in kurdischer Sprache leben konnte. Ich hatte einen Bekannten, der im Irak Professor war und in Köln Straßen reinigte. Das ist schlimm - viele müssen hier als Null anfangen. Ich veröffentliche inzwischen auch auf Deutsch, Englisch, Italienisch und in anderen Sprachen, das macht mich sehr glücklich. Trotzdem bleibe ich hier ein Flüchtling und ein Nomade - und will das auch nicht anders. In gewisser Weise möchte ich mich nicht integrieren, aber das ist vielleicht missverständlich.

Sie haben in einem Essay geschrieben, dass Sie den Begriff Integration problematisch finden.

Sprache lernen, Gesetze akzeptieren, arbeiten - das ist in einem neuen Land selbstverständlich - aber es sollte nicht sein, dass Menschen bei Null anfangen müssen wie der Professor. Und sie sollten auch nicht ihre Identität, ihre Erfahrungen, ihre Kultur abstreifen müssen, um als integriert zu gelten. Was von vielen Staaten gewünscht ist, ist Assimilation - Anpassung bis zur Unkenntlichkeit des Eigenen. Das heißt eigentlich: Intoleranz. Und führt zu Abspaltung, Hass, Radikalisierung.

Haben Sie Intoleranz in Deutschland oft erlebt?

Eigentlich selten, Köln ist eine sehr, sehr offene Stadt. Aber der Wind kann sich schnell drehen, das hat die Silvesternacht gezeigt - danach hat sich die Freude, Menschen zu helfen, in Angst und zum Teil auch in Hass verwandelt. Ich bin danach auch ein paar Mal beschimpft worden. Die Angst vor dem Fremden ist instrumentalisiert worden - so, wie es die Nationalisten im Orient mit den Kurden und anderen Volksgruppen machen.

In vielen europäischen Ländern sind Nationalisten auf dem Vormarsch. Was macht Ihnen Angst, was Hoffnung?

Als Flüchtling, der froh war, das Leben zu haben, ist mir eine Angst eingebrannt. Sie darf aber nicht zum Prinzip werden - weder von Menschen noch von Staaten. Wir brauchen ein globales Wertesystem - wenn wir es nicht schaffen, langfristig universelle Werte zu schaffen, wird es verheerende Kriege geben.

Ein universelles Wertesystem klingt ziemlich utopisch.

Ja, das ist es. Als Schriftsteller entwerfe ich Utopien - und erinnere an die Werte, die alle Menschen verbinden. Ich will daran glauben, obwohl ich weiß, wie düster die Realität ist. Wer von Angst geleitet ist, hasst und andere ausgrenzt, wer sich in die Luft sprengt, der weiß nicht, wie schön und wertvoll das Leben ist.

Europa ist ein Friedensprojekt. Hat es eine Zukunft?

Daran entscheidet sich mehr, als wir im Moment überschauen können. Europa ist es dauerhaft gelungen Nationalismus und Krieg zu überwinden. Wenn der europäische Gedanke scheitert, wäre das die größte Katastrophe.

Zur Person

Bachtyar Ali, geboren 1966 in Sulaimaniyya, ist einer der bedeutendsten Schriftsteller kurdischer Sprache. Seine Romane „Der letzte Granatapfel“ und „Die Stadt der weißen Musiker“ sind auf Deutsch im Unionsverlag erschienen. Sie erzählen von den Massakern im Irak-Krieg, von Flucht und Vertreibung.

Ali gilt als Vertreter des magischen Realismus. 2017 erhielt er den Nelly-Sachs-Literaturpreis der Stadt Dortmund. Ali war Kritiker von Diktator Saddam Hussein, bei einer Demonstration gegen dessen Partei wurde er verletzt. Er lebt seit Mitte der 1990er Jahre in Köln und reist für Lesungen und Vorträge durch die Welt.

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