Essen. . Weil der Anteil nicht-deutscher Nutzer auf 75 Prozent gestiegen ist, hat die Essener Tafel für sie einen Aufnahmestopp verhängt. Vorübergehend.

Die Essener Tafel, die Lebensmittel an Bedürftige verteilt, nimmt derzeit nur noch Deutsche als Neukunden auf. Der Verein habe sich dazu gezwungen gesehen, weil Flüchtlinge und Zuwanderer zwischenzeitlich 75 Prozent der insgesamt 6000 Nutzer ausmachten, erklärt der Vorsitzende Jörg Sartor. „Wir wollen, dass auch die deutsche Oma weiter zu uns kommt.“

In den vergangenen zwei Jahren seien die älteren Tafel-Nutzerinnen sowie alleinerziehende Mütter offenbar einem schleichenden Verdrängungsprozess zum Opfer gefallen, schildert Sartor. So habe der Anteil nicht-deutscher Nutzer vor dem starken Flüchtlingszuzug im Jahr 2015 bei 35 Prozent gelegen. „Darunter viele, die schon seit Jahrzehnten hier leben und nur keinen deutschen Pass haben“, sagt Sartor.

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Plötzlich waren 75 Prozent der Nutzer Nicht-Deutsche

Die Herkunftsländer würden schon seit langem in der Mitgliedsdatei erfasst, aus rein statistischen Gründen. Und so lange die Flüchtlinge noch in städtischen Unterkünften untergebracht waren, seien sie gar nicht bei der Tafel aufgetaucht. „Die waren dort ja versorgt.“ Grundlegend geändert habe sich die Lage, als vor allem viele Syrer anerkannt wurden und Sozialleistungen erhielten. „Die haben wir aufgenommen wie alle anderen auch.“ Wer Hartz IV, Wohngeld oder Grundsicherung erhalte, werde als Tafel-Kunde aufgenommen – sofern ein Platz frei sei.

1800 Karten gibt die Essener Tafel aus; genutzt werden sie mal von Einzelpersonen, mal von der ganzen Familie. Bei 61 Prozent habe der Anteil nicht-deutscher Karteninhaber in der Spitze gelegen. „Das entsprach einem Anteil von 75 Prozent der 6000 Nutzer, weil hinter einer Karte bei den ausländischen Familien oft viele Kinder stehen.“

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„Noch hat es keinen Krach, kein Theater gegeben“

Gleichzeitig seien immer weniger Deutsche gekommen. Nachfragen hätten ergeben, dass sich gerade ältere Nutzerinnen von der Vielzahl junger, fremdsprachiger Männer an den Ausgabestellen abgeschreckt gefühlt hätten. Nach Sartors Ansicht liegt das auch am „mangelnden Respekt gegenüber Frauen“ einiger der Männer. „Wenn wir morgens die Tür aufgeschlossen haben, gab es Geschubse und Gedrängel ohne Rücksicht auf die Oma in der Schlange.“

Der Verein habe lange diskutiert, wie man wieder ein Gleichgewicht zwischen den Nutzergruppen herstellen könne. So sind über 60-Jährige seit Frühling 2017 von der einjährigen Zwangspause befreit: Sie könnten die Tafel nun dauerhaft nutzen. Doch viele Senioren hätten nach einem Jahr gar nicht verlängern wollen, sondern sich abgemeldet. „Dabei ist die Altersarmut ja nicht plötzlich verschwunden.“ Also beschloss der Vorstand im Dezember, „zurzeit nur Kunden mit deutschem Personalausweis aufzunehmen“. Umgesetzt wird das seit Mitte Januar – „so lange, bis die Waage wieder ausgeglichen ist“.

Der Vorsitzende der Essener Tafel, Jörg Sartor, beim Ausladen von Lebensmitteln.
Der Vorsitzende der Essener Tafel, Jörg Sartor, beim Ausladen von Lebensmitteln.

Man habe den Essener Sozialdezernenten Peter Renzel über die neue Praxis informiert und diese auch gegenüber Beratungsstellen bestätigt, die irritiert nachfragten, wieso ihre Schützlinge abgewiesen wurden. Der Verein habe sich mit dem Aufnahmestopp durchaus schwer getan und wisse, dass das ein „heißes Thema“ sei, sagt Sartor. Er habe daher mit Unruhe gerechnet. „Seltsamerweise gab es noch keinen Krach, kein Theater.“

>>> DIE ERSTE TAFEL ENTSTAND VOR 25 JAHREN

Die erste deutsche Tafel wurde heute vor 25 Jahren von der Initiative Berliner Frauen e.V. in Berlin gegründet, um die Lage Obdachloser zu verbessern. Ein weiterer Ansatz ist die Rettung von Lebensmitteln, die sonst auf dem Müll landen würden.

Heute gibt es hierzulande über 930 Tafeln, die Lebensmittel an Bedürftige verteilen. Der Dachverband „Tafel Deutschland“ vertritt die Interessen seiner Mitglieder gegenüber der Politik und unterstützt die Tafel-Arbeit vor Ort. Infos: www.tafel.de

Informationen zur Essener Tafel

Wie viele Menschen erreicht die Essener Tafel?

In 13 Verteilstellen gehen die Lebensmittel jede Woche an rund 6000 Menschen. Die Tafel beliefert darüber hinaus nach eigenen Angaben knapp 110 soziale und karitative Einrichtungen wie Mittagstische in sozialen Brennpunkten oder Anlaufstellen für Obdachlose mit weiteren rund 10 000 Menschen. Bundesweit verteilen die Tafeln die Lebensmittel regelmäßig an bis zu 1,5 Millionen Bedürftige.

Wer macht die Arbeit?

In Essen sind es 120 ehrenamtliche Helfer, die Lebensmittel sammeln, sortieren und verteilen. Die Waren werden von Lebensmittelmärkten, Produzenten, Großhändlern und Bäckereien gespendet. Mit sechs Kühlfahrzeugen sammeln die Ehrenamtlichen die Waren ein und bringen sie zu den Ausgabestellen.

Wer darf zur Essener Tafel gehen?

Jeder, der seine Bedürftigkeit nachweisen kann: Empfänger müssen Hartz IV, Grundsicherung oder Wohngeld beziehen. In Essen erhalten die Kunden nach erfolgreicher Anmeldung eine Kundenkarte und eine feste Abholzeit einmal in der Woche. Bei der Anmeldung muss sich der Kunde entscheiden, an welcher der Verteilstellen er die Lebensmittel erhalten möchte. Jeder Erwachsene muss pro Ausgabe einen Euro Schutzgebühr bezahlen. Wer seinen Termin nicht einhalten kann, muss sich telefonisch abmelden. Wer das drei Mal versäumt, verliert die Berechtigung. (dpa)

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Update: Nach Krisensitzung am Dienstag: Der Aufnahmestopp für Ausländer bei der Essener Tafel bleibt vorerst bestehen. Nun soll ein Runder Tisch einberufen werden. Mehr Informationen dazu finden Sie hier.